KIMM e.V. - Kontakte und Informationen für Morbus Menière

Was ist sinnvoll bei Morbus Menière?

„Was ist sinnvoll bei Morbus Menière? Was können Arzt und Patient zur Bewältigung der Krankheit beitragen?“

Unter diesem Titel hielt Dr. Helmut Schaaf auf der KIMM-Herbsttagung 2012 in Hannover einen Vortrag und beantwortete Fragen. Dr. Schaaf ist selbst an Morbus Menière erkrankt. Vielen wird er bekannt sein als Autor des sehr empfehlenswerten Buches „MORBUS MENIÈRE – Schwindel-Hörverlust-Tinnitus: eine psychosomatisch orientierte Darstellung“ von Helmut Schaaf, 8. Auflage, Springer-Verlag, ISBN 978-3-662-52975-1
Das Buch ist auch für Laien verständlich.

Dr. Schaaf arbeitet als Oberarzt in der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse im Stadtkrankenhaus Bad Arolsen und ist Leiter des dortigen Gleichgewichtsinstitutes

Hier die Dokumentation des Vortrags:

Ich möchte Ihnen gerne einige Aspekte zum Umgang mit dem Morbus Menière aus einer Sicht darstellen, die sowohl den organischen Aspekt wie auch den psychosomatischen Aspekt beinhaltet. Wenn sich mein Vortrag vielleicht etwas von anderen Referenten unterscheiden könnte, liegt das sicher auch daran, dass ich mir nicht ganz aus freien Stücken das Thema Menière ausgesucht habe, sondern die Krankheit mich. So habe ich viele der vorgetragenen Aspekte selbst erlebt, was sich sicher auch niederschlägt in meiner Arbeit in der Tinnitus Klinik Hesse in Bad Arolsen. Auch an dieser Stelle bedanke ich mich wieder gerne bei meinem Chef Professor Dr. Hesse, der viel Raum lässt, sich ausführlich mit M. Menière Patienten und Schwindelerkrankungen sowohl neurootologisch, wie auch psychosomatisch zu beschäftigen. Anfangen möchte ich aber mit einer kleinen Geschichte, die vielleicht verstehen lässt, warum man zum gleichen Thema so viele unterschiedliche Auffassungen haben kann.

Die Weisen und der Elefant

„Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Die waren alle blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf die Reise geschickt, herauszufinden, was denn ein Elefant sei. So machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen im Kreis um das Tier und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.
Zurück bei ihrem König, berichteten sie nun, was ein Elefant ist:

  • Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: Ein Elefant ähnelt gewiss einer Wasserpfeife. „
  • Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: „Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer.“
  • Der dritte sprach: „Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule.“ Er hatte das Bein des Elefanten berührt.
  • Der vierte Weise sagte: „Es ist so: ein Elefant ist wie ein kurzes Seil mit Fransen am Ende“, denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet.
  • Der fünfte Weise berichtete seinem König: „Ein Elefant ist wie eine Art Königsthron.“ Dieser Gelehrte hatte den Rücken des Tieres berührt.

Jeder untersucht einen anderen Körperteil (aber jeder nur einen Teil), wie zum Beispiel die Flanke oder einen Stoßzahn. Dann vergleichen sie ihre Erfahrungen untereinander und stellen fest, dass jede individuelle Erfahrung zu ihrer eigenen, vollständig unterschiedlichen Schlussfolgerung führt.

Auch beim M. Menière kann es schwerfallen, den Überblick im „Labyrinth“ des schwindelerregenden und höreinschränkenden Geschehens zu behalten, auch wenn sicherlich jeder Experte – auf seinem Gebiet und mit seinen Kenntnissen – sein Möglichstes gibt. Jeder, der darauf sieht – ob HNO oder Internist oder Neurologe oder der Betroffene – nimmt bei dem komplexen Geschehen unterschiedliche Eindrücke wahr und kommt zu unterschiedlichen Meinungen. Für den Betroffenen ist es da meist sehr schwierig, hier den Durchblick zu bekommen. Hier sehe ich eine gute Aufgabe der Selbsthilfe, sich durch den Austausch mit Betroffenen selber eine Meinung zu bilden, seine Fragen in einer Selbsthilfegruppe stellen. Hier gibt es ja oft Menschen, die schon weiter sind und helfen können. So macht es einen Unterschied, wer bei wem, in welchem Zustand und Stadium des Geschehens (akut oder chronisch) auf die Krankheit oder den Erkrankten schaut, ob man eher konservativ oder chirurgisch orientiert, auf die Ohren oder das Nervensystem oder „die Psyche“ spezialisiert ist.

Ein Schaden im Innenohr


Abb. Schematische Darstellung des Labyrinths: links mit normal weiten, rechts mit ausgeweiteten Endolymphgängen im Schneckenanteil und endolymphatischen Sack in dem dazugehörigen Hörbefund

Zu der Frage, was einen M. Menière ausmacht, hat es schon viele Beiträge auf KIMM-Tagungen gegeben, zuletzt den von Prof. Helling aus Mainz (s. KIMM aktuell 1/2012, 18-27). Festgehalten werden darf, dass es sich um eine eigenständige Erkrankung des Innenohres handelt. Dabei staut sich bei Menière-Erkrankten die (Lymph-)Flüssigkeit in den Gehör- und Gleichgewichtsschläuchelchen – ohne dass wir letztlich wissen können, warum. Dabei kann das fein ausgeklügelte System der Sinneswahrnehmung gestört werden, und es kann zu einem regelrechten Chaos im Gleichgewichtsorgan und zu Störungen und Ausfällen im Hörorgan kommen. Diese Turbulenzen im Innenohr äußern sich in typischerweise unvorhersehbarem, attackenweisen Schwindel, chronischem Hörverlust, Ohrgeräuschen und Augenzittern (Nystagmus). In der Regel kommt Erbrechen hinzu und oft ein Druckgefühl im Ohr. Alle Erklärungen, die immer wieder einmal glaubten, DIE Antwort gefunden zu haben, erwiesen sich bisher nur als Teilaspekt des Gesamtgeschehens, wurden hinten angestellt und ca. alle 10 Jahre wieder in den Vordergrund gerückt mit der Idee, jetzt aber habe man die Lösung. Abzugrenzen ist der Morbus Menière von einer Vielzahl -in Teilaspekten- ähnlichen Erkrankungen. Daher kommt es häufig zu Verwechslungen, in der Regel wird die „Menière Diagnose“ viel zu oft gestellt. Dies ist ausführlich in dem Kapitel 5 des Buches: M. Menière (7. akt. Auflage) beschrieben.

Tabellarische Aufzählung ähnlicher Krankheitsbilder

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Tabellarische Aufzählung als Hinweis(1) auf Krankheitsbilder, die wie ein M. Menière erscheinen können

Angst-Schwindel und Schwindel-Angst

Neben den erwähnten körperlichen Beschwerden möchte ich hier etwas näher auf häufige psychische bzw. psychosomatische Aspekte des M. Menière eingehen. Genauso wichtig wie das Menièresche Geschehen selbst, das zumindest in einigen Teilaspekten „objektivierbar“ ist, ist die Entwicklung der Krankheit mit ihren Folgen. Vieles davon ist nun nicht mehr messbar und damit auch weniger „begreifbar“. Wem das Gleichgewicht so massiv wie bei vielen Menière-Attacken verloren geht, verliert oft Halt und Sicherheit. So ist es kaum verwunderlich, dass die typischen Drehschwindel-Anfälle häufig mit Todes- und Vernichtungsängsten einhergehen. Stellt sich dieses als existentiell bedrohlich erlebte Ereignis öfters ein, so wächst verständlicherweise auch die Angst vor der Wiederholung. Dabei kann die Angst so groß werden, dass sie selbst als Unsicherheit und Schwindel bis hin zu einem Gefühl des Drehschwindels empfunden und zu einer eigenen Krankheitskomponente wird. Über die reinen Anfälle hinaus kann sich dann ein „ständiges“ Schwindelgefühl bemerkbar machen. Medizinisch und psychologisch wird dies als „Psychogener Schwindel“ bezeichnet. Betroffene schildern dies oft so: Man sei taumelig, nicht standfest, wackelig, aneckend, wirr im Kopf, habe ein dröhnendes Gefühl und Angst, oft sehr viel Angst. Ganze Tage seien nun „Menière-Tage“. In bestimmten Situationen kann dieses Gefühl, verbunden mit Angst und Panik, dann erlebt werden wie ein innenohrbedingter Menière-Anfall, obwohl kein Augenzittern eintritt und der Menière- und Seelen-Kranke stehen kann.

Der reaktive psychogene (Seelen-) Schwindel

Der Wirkmechanismus der – für Betroffene und oft auch für Behandler – unvorstellbaren Schwindelerlebnisse ist in vielen Fällen dennoch gut erklärbar. Oft läuft uns schon beim Anblick des Essens „das Wasser im Mund zusammen“, was eine äußerst sinnvolle, biologisch wichtige Reaktion darstellt. Wird gleichzeitig zum Essen geläutet, so reicht nach einer gewissen Zeit allein das Läuten aus, damit das Wasser im Munde zusammenläuft. Der sehr organisch bedingte Schwindel beim M. Menière findet nicht in „sterilen Räumen“, sondern in bestimmten, mehr oder weniger zufälligen Situationen statt und ist meist begleitet von:

  • Gefühlen der Unsicherheit,
  • Angst und Panik
  • sowie von begleitenden „vegetativen“ Symptomen wie Schwitzen, Blutdruckveränderung, Herzklopfen usw.

Im ersten Schritt löst – sehr organisch – ein Innenohrgeschehen den Schwindel und seine Begleiterscheinungen aus. Bei entsprechender Sensibilität, die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist, können später gleiche Begleitumstände des Schwindelgeschehens – für den Betroffenen vollkommen unbewusst – dieselben Symptome auslösen wie ein organisch bedingter Schwindelanfall.

Diese Begleitumstände können sein:

  • die räumliche Situation, in der der ursprüngliche Anfall geschah oder sich gar wiederholte,
  • eine ängstigende, bedrückende oder eine „den Boden unter den Füßen weg-ziehende“, eher
  • außergewöhnliche Situation,
  • speziell beim Morbus Menière ein in der Lautheit zunehmender Tinnitus, der dem organisch bedingten Schwindelanfall vorausging,
  • eine Kopfbewegung.

Diese lösen dann – auch ohne den Menière-Anfall – die oben genannten typischen Gefühle von Unsicherheit, Angst und Panik aus und können – begleitet von Herzklopfen, Schwitzen und Ansteigen des Blutdrucks – wie bei einem organisch bedingten Schwindelanfall erlebt werden. Auch hier können im Laufe der weiteren Krankheitsgeschichte die auslösenden Faktoren immer unspezifischer werden. Dann können schon ähnliche Situationen oder Phänomene zum Auslöser der Schwindel-Empfindungen werden. Dieser Vorgang wird als Reizgeneralisierung bezeichnet. Hinzu kommt noch ein weiteres Phänomen. Die bei Schwindelanfällen fast schon natürlich auftretende Angst kann selbst wiederum wie ein Schwinden und Schwindel empfunden werden. Dies kann einen dauerhaften Prozess des Angst-Schwindels und der Schwindel-Angst einleiten. In der Folge sind beide für die Betroffenen nicht mehr unterscheidbar, weil diese Empfindungen meist überwiegend unbewusst – und teilweise parallel – verlaufen. In einer eigens durchgeführten Untersuchung litten die bei uns behandelten Menière-Patienten mehr, länger und schwerwiegender unter dem psychogenen Schwindel als unter den – dafür relativ seltenen – innenohrbedingten Drehschwindelattacken. Ohne die Hilfe von außen kommt es dann möglicherweise zu einer immer weiteren Einengung der eigenen Möglichkeiten und der Krankheitsbewältigung.

Was – nahezu – jeden Schwindel aufrechterhalten kann

Nahezu jeder Schwindel dauert länger oder bleibt gar ganz aufrecht erhalten, wenn Schwindel-Betroffene nicht aus ungünstigen Gedanken von sich und ihrer Welt (Kognitionen) herauskommen können, nicht hilfreiche Gefühle unverändert bleiben müssen und noch und weiter Machbares unterlassen. …. und wenn man hinsichtlich der Diagnose statt Klarheit Schwindelperspektiven erwartet

Kognitiv-emotionale Verarbeitung

Wir Menschen reagieren zum Glück nicht (nur) wie Pawlows Hunde oder die Tauben Skinners. Es müssen daher weitere Prozesse auf dem Niveau der kognitiv-emotionalen Verarbeitung hinzukommen, die uns helfen zu verstehen, warum sich bei den einen ein psychogener Schwindel festsetzen kann und bei den anderen nicht. Verbunden kann dies sein mit irrationalen Bewertungen (z. B. absolute Forderungen) und „systematischen Denkfehlern“ (s. dazu ausführlich: M. Menière. 7. Auflage und/oder Gleichgewicht und Schwindel. 5. Auflage im Asanger Verlag 2012).

Vermeidung

Das Hauptproblem – „die Hauptsünde“ – ist die meist aus der Angst gespeiste zunehmende Vermeidung von Aktivitäten, die eigentlich machbar sind. Dadurch, dass noch vorhandene Fähigkeiten nicht benutzt werden, werden sie verlernt. In der Folge werden stattdessen die Angst und die Isolierung immer größer und die Möglichkeiten zu Veränderung immer eingeengter.

Kaum verwunderlich ist, dass Menschen, die schon vor dem Innenohrschwindel psychisch belastet waren, eher einen psychogenen Schwindel hinzubekommen als bis dato unbelastete Menschen.

Was kann sinnvoll sein?

Menière-Patienten treffen in den unterschiedlichsten Phasen ihrer Erkrankung mit unterschiedlichen Fachmenschen zusammen, die jeweils mehr oder weniger mit der Erkrankung vertraut sein können. Wichtig für jeden einzelnen und jeweils unterschiedlich betroffenen Menière-Patienten ist es, möglichst viele Anteile seines „Menière-Knäuels“ zu verstehen, um das Änderbare oder wenigstens Ausgleichbare und Verbesserbare anzugehen. Dabei ist die genaue Diagnose des medizinisch klar definierten Krankheitsbildes des M. Menière zwar nicht immer einfach, aber inzwischen stehen uns deutlich verbesserte Möglichkeiten zur Verfügung, Informationen auch über die Gleichgewichtssäckchen zu bekommen. Dazu hat Dr. Behrooz Eghlimi 2011 in Berleburg einen ausführlichen Vortrag gehalten, der in der KIMM aktuell 2-2011 mit vielen hilfreichen Abbildungen wiedergegeben wurde. Am Ende vieler Untersuchungen aber – das lehrt uns auch die Parabel von den Weisen und dem Elefanten, müssen am Ende alle Befunde gewertet und zugeordnet werden. Kein Befund alleine stellt schon eine Diagnose dar. Erst im Zusammenhang mit den anderen Komponenten des Gleichgewichtssystems ergeben die Details praktisch Sinn. Richtig wirksam kann eine Diagnostik werden, wenn diese Befunde auch mit den Betroffenen so besprochen werden, dass diese sie verstehen“ können. Dann kann das Verstandene auch umgesetzt werden. Vieles davon überschreitet die Möglichkeiten der normalen Kassenmedizin.

Die Akuttherapie der Menièreschen Krankheit

Im Notfall wird es ein Arzt im Krankenhaus oder hausärztlichen Notdienst sein, der gerade Dienst hat und – verständlicherweise – auch an einen Herzinfarkt oder Schlaganfall denken muss, wenn er nicht selbst Erfahrung mit Menière Patienten hat. Solange die Diagnose M. Menière nicht sicher ist, werden in der Unsicherheit des Zweifels und in dem Anliegen, nichts auszulassen, oft Infusionen mit oder ohne Cortison-Zusatz bis zu 14 Tage lang durchgeführt. Kortison kann entzündungshemmend und „membranstabilisierend“ sein. Die Hoffnung ist, dass es so vielleicht auch auf die Funktion des endolymphatischen Sacks Einfluss nehmen kann, sodass dieser wieder bessere Resorptionsleistungen bringen könnte. Zu bedenken ist, dass Kortison in höheren Mengen durchaus bekannte und unerwünschte Nebenwirkungen wie Blutdrucksteigerung, diabetische Stoffwechsellage, Glaukom und psychische Abweichungen haben kann. Kortison ins Mittelohr (intratympanale Kortisongabe). Inzwischen wird vermehrt erprobt, ob eine Kortisongabe direkt vor das Innenohr positive Auswirkungen hinsichtlich der Häufung und Heftigkeit der Schwindelanfälle haben könnte. Nicht sinnvoll und eher ungünstig sind sog. „blutverflüssigende“ Medikamente. Ist die Diagnose M. Menière sicher, so kann von Infusionen abgesehen werden. Selbst wenn man eine Durchblutungssteigerung erreichen könnte, ist eine Beeinflussung des endolymphatischen Hydrops kaum vorstellbar [Morgenstern C. (1994): Morbus Menière. In: Naumann H. H. (Hrsg.) Oto-Rhino-Laryngologie in Klinik und Praxis, Bd. 1: Ohr, S 768-775. Stuttgart, Thieme]. So ist es aus vielerlei Gründen hilfreich, sich auch im Anfall selbst helfen zu können.

Die eigene Notfallbewältigung

Für den akuten Anfall stehen eine Reihe von effektiven schwindeldämpfenden Medikamenten (Dimenhydrinat, z.B. Vomex) für die Infusionsbehandlung, aber auch als Tablette und Zäpfchen zur Verfügung. Ein „Menière-Pass“ kann die Betroffenen in ihrem Schwindel als Kranke und nicht etwa als Betrunkene ausweisen. Eine Tüte schafft Abhilfe, für den Fall, dass es trotz mitgeführter Medikamente zum Erbrechen kommt. Technische Hilfsmittel wie ein Handy ermöglichen, ggf. Hilfe anzufordern. Viele digitale Kamerafunktionen ermöglichen es, bei sich selbst oder einem Mitmenschen die bei einem Anfall auftretenden Augenbewegungen zu filmen! So kann auch im Nachhinein noch eine genaue Information für die Art des Innenohrgeschehens gewonnen werden.

Der Umgang und die Therapie zwischen den Anfällen

Enttäuschte Hoffnungen können auch ernsthafte Nebenwirkungen sein. Menière Kranken werden eine Vielzahl von Therapien angeboten, die sicherlich auch mal dem einen oder anderen geholfen haben. Oft bleibt unklar, ob die Maßnahmen geholfen haben oder ob sie in der Zeit nichts geschadet haben. Prinzipiell wird es einem Patienten egal sein, ob seine Schwindelfreiheit und Hörverbesserung auf gesicherten Therapien beruht oder nicht, „Hauptsache“ es hat geholfen. Dennoch erleben viele in ihrer Verzweiflung, dass sie oft nach jedem – auch noch so „unwahrscheinlichen, oder schon magisch anmutenden“ – Ausweg greifen, und oft teuer dafür bezahlen, ohne zu profitieren. Versprechungen sind oft verlockender als rationale Therapieansätze, manchmal in Umkehrung zum Schnäppcheneffekt: je selbst bezahlter, desto hoffnungsbesetzter. Sehr streng: Die Erfolgskriterien der Cochrane Vereinigung. In diesem „weiten Feld“ hat sich nun ein Netz von Wissenschaftlern gefunden, die Cochrane Collaboration. Das zentrale Ziel der Cochrane Collaboration ist die Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem. Die Cochrane Collaboration berücksichtigt dafür nur gute und vor allen Dingen objektivierbare und auswertbare Studien und bewertet sie hinsichtlich der Effektivität. Nicht berücksichtigt werden Studien, bei denen man den Verdacht haben muss, dass die Patientenauswahl, ebenso wie die Auswahl der Methodik und die Auswertung selber, möglicherweise einer kritischen Beanstandung oder vergleichbaren Untersuchungen nicht standhalten könnte. Nun muss man sicher nicht evidenzbasiert prüfen, ob es notwendig ist, mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug zu springen. Die Cochrane Collaboration setzt aber einen wohltuenden Kontrapunkt zu den manchmal wellenartig auftretenden Therapiemoden und nicht zuletzt gegen die oft von „interessierten“ Anbietern geputschten Aussagen von Meinungsmachern (im Fachjargon „Mietmäuler“). Zum M. Menière hat die Cochrane Collaboration untersucht: Intratympanale Gentamycingabe, Intratympanale Kortisongabe, Sakkotomie, Betahistin, Diuretika und Gleichgewichtstherapie. Mit den Untersuchungen der Cochrane Vereinigung im Hintergrund sollen nun kurz verschiedene Therapien vorgestellt werden. Ausführlich werden diese in dem Buch: M. Menière. 7. Auflage. Springer 2012 dargestellt, ebenso wie die Ansätze zur Hörverbesserung.

Gesicherte Therapien

Gleichgewichtsübungen

Zwar erholt sich nach einem akuten Menière-Anfall das Gleichgewichtssystem in der Regel „von selbst“; aber nach mehrfach wiederholten Anfällen stellen sich Funktionsverluste des betroffenen Organs ein. Ein Gleichgewichts- und Bewegungstraining hilft, die im Verlauf der Menière-Krankheit häufig festzustellenden Ausfälle im Gleichgewichtsnetzwerk wieder auszubessern und – nach eventuell nötigen Eingriffen am Gleichgewichtsapparat – die Kompensationszeit zu verkürzen. Die meisten Gleichgewichtsübungen bauen auf den „klassischen“ Übungsablauf von Cawthorne u. Friedmann (1969) und Cooksey (1946) (s. www.drhschaaf.de/Gleichgewichtsuebungen%20bei%20Schwindel.pdf) Wichtig ist auch hier, mit einer positiven Grundhaltung und einer realistischen Einschätzung der vorhandenen Möglichkeiten zu arbeiten. So können selbst größere Ausfälle durch eine zentrale Kompensation ausgeglichen werden. Der bedeutendste Faktor für ein Ausbleiben des Erfolges sind Schonung, exzessive körperliche Ruhe und Vermeidung selbst der Aktivitäten, die eigentlich problemarm durchführbar wären. Gründe sind oft Unwissenheit, fehlende Ermutigung und Angst. Ungünstig kommen oft beruhigende oder antriebsmindernde Medikamente hinzu, die manchmal statt des Gleichgewichtstrainings angeraten werden. Bis zum Beweis des Gegenteils helfen – durchgeführte – Gleichgewichtsübungen, die Standfestigkeit zu erhöhen, die Beweglichkeit zu verbessern und die Selbstsicherheit zu steigern. Dies gilt auch für reaktiv „psychogene“ Schwindelzustände! Dies konnte – evidenzbasiert in 27 von der Cochrane Collaboration gewerteten Studien mit 1668 Teilnehmern – als „sicher und effektiv bei einseitigen Gleichgewichtsausfällen“ bewertet werden (Hillier, McDonnell 2011). Dabei fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Methoden. Das wichtigste ist, dass es gemacht wird, und man darf sich das aussuchen, was einem am meisten liegt, Spaß macht oder schlicht als nächstes erreichbar ist.

Chemische Minderung der Gleichgewichtsfunktion Zerstörung des Labyrinths:

Gentamyzin in die Paukenhöhle: intratympanale Gentamyzin-Gabe

Wenn der organisch bedingte Menière – Schwindel öfters kommt, steht als wirksame Methode die Gabe von – für das Innenohr toxischen (giftigen) – Gentamyzin ins Mittelohr zur Verfügung. Dadurch können die Menière-bedingten Anfälle in ihrer Frequenz und in ihrer Heftigkeit gemindert und (abhängig von der Häufigkeit der Anwendung) auch ausgeschaltet werden. Gefährdet ist dabei – wie durch das Fortschreiten des M. Menière selbst – der Höranteil. Vor diesem – das Organ in seiner Funktion mindernden und den Höranteil mit einbeziehenden – Eingriff muss vorher geklärt sein:

  • Handelt es sich wirklich um einen M. Menière (und nicht um eine vestibuläre Migräne oder Perilymphfistel (z.B. bei einer oberen Bogengangsdehiszenz)?
  • Sind die Schwindelereignisse bei einem gesicherten M. Menière Innenohr bedingte Attacken oder ein überwiegend reaktiv psychogenes Geschehen, vielleicht kompliziert durch einen hinzugekommenen, aber beseitigbaren Lagerungsschwindel oder das „objektive“ Erleben des einseitigen Funktionsausfalls bei sehr schnellen Bewegungen?
  • Wie sieht es mit den Kompensationsmöglichkeiten im Gleichgewichtssystem des Betroffenen aus, wie verhält es sich mit dem Sehvermögen, der Standfestigkeit und ggf. dem verbesserbaren Koordinationsvermögen.
  • Welchen Einfluss haben dämpfende Substanzen oder Suchtmittel, medikamentöse oder selbst zugeführte.
  • Was ist „öfters“???

Lange wurde die intratympanale Gentamyzin-Ausschaltung nur bei sehr schlechtem Gehör (Stadium 3) angewandt. Im Verlauf der zunehmenden Erfahrungen mit dieser Methode hat sich herausgestellt, dass Gentamyzin sowohl mit Verzögerung in das Innenohr aufgenommen als auch nur langsam abgebaut wird (Magnusson 1991). Dies hat dazu geführt, dass heutzutage mit bedeutend geringeren Wirkmengen gearbeitet wird und – wegen der verzögerten Wirkung – auch länger auf den Therapieerfolg, den Ausfallschwindel, gewartet wird. Ebenso scheint eine Teilausschaltung des Gleichgewichtsorgans zur Besserung der Symptomatik auszureichen (Magnusson 1991). Dadurch stellten sich auch immer weniger Nebenwirkungen ein und auch wenn sich das Hörvermögen nicht gerade verbessert, muss es sich nicht wesentlich verschlechtern.
(ausführlich und aktualisiert s. Schaaf „M. Menière“ 7. Auflage 2012)

Durchtrennung des Gleichgewichtsnervs:

Die Neurektomie

Wenn der vom Innenohr ausgehende Schwindel nicht ausreichend beherrscht werden kann, scheint es auf der Hand zu liegen, die Nervenverbindungen zwischen dem peripheren Sinnesorgan und dem zentralen Gleichgewichtszentrum zu durchtrennen. Dieses Verfahren – die Neurektomie – wird im englischsprachigen Raum sehr oft, meist noch häufiger als die Gentamyzinausschaltung befürwortet und durchgeführt. Ist es möglich, bei der Operation den eng am Gleichgewichtsnerven anliegenden und mit ihm in einen gemeinsamen Hauptnerv mündenden Hörnerven zu schonen, sollte der Schwindel beherrscht und das verbliebene Hörvermögen erhalten bleiben. Von darin erfahrenen Operateuren durchgeführt, werden gute Langzeitergebnisse mit kleinem Komplikationsrisiko berichtet (Helms 1985; Hillman et al. 2004). Dennoch bleibt das Hörvermögen weiter durch die Vorgänge im Innenohr, die den M. Menière ausmachen, belastet. Die Neurektomie „schützt“ nicht vor fluktuierenden Hörstörungen infolge eines weiterhin bestehenden endolymphatischen Hydrops mit weiter schwankendem Hörvermögen. Der Zustand nach Neurektomie entspricht dem eines einseitigen Gleichgewichtsausfalls. Daher müssen gleichgewichtstrainierende Therapiemethoden bis zur optimalen Kompensation angewendet werden.

Nicht gesichterte konservative Therapien – Meinung von „Experten“ (aus der Medizin) (eine kleine Auswahl von A-Z)

Vorab: Wenn man nichts Operatives macht?

Durchschnittlich nach 9 Jahren scheint bei 75% der Unbehandelten und nichtchirurgisch Therapierten (!) die Menière-Krankheit „auszubrennen“, d. h. die Schwindelanfälle werden schwächer oder verschwinden ganz (Stahle et al. u. Kitahara in: Huang 1991). Das Hörvermögen hat sich dann meist auf eine einseitige, mittelgradige Schwerhörigkeit verschlechtert.

Arlevert

Arlevert ist ein Kombinationsmedikament aus dem hemmenden Dimenhydrinat (40 Milligramm) und dem Gegenspieler des Kalziums (Kalziumantagonisten) Cinnarizin (20 Milligramm). Die dämpfende Komponente soll zwar den Schwindel dämpfen, aber – laut der für das Firmen- „Handbuch des Schwindels“ gewonnenen Experten – in dieser Kombination keine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit (Vigilanz) und der Reaktionsfähigkeit nach sich ziehen. Der an einem Haarzell-Modell(!) eines Meerschweins geprüfte Kalziumantagonist Cinnarizin soll „unphysiologische“ Impulse aus dem Gleichgewichtsorgan hemmen. Warum das Cinnarizin es schaffen soll, nur unphysiologische Impulse aus dem Gleichgewichtsorgan zu hemmen und nicht die physiologischen (z.B. in dem gesunden Gleichgewichtsorgan der gegenüberliegenden Seite), bleibt wahrscheinlich ebenso nebulös wie die Ausweitung des Einsatzgebietes auf nahezu alle Schwindelarten vom Gleichgewichtsausfall über den psychogenen Schwindel bis zur Reisekrankheit. Alle Erfahrung weist darauf hin, dass das Gleichgewichtssystem – außer in der akuten Phase – nicht von seiner Dämpfung und damit Minderung seiner Fähigkeiten profitiert, sondern von einer Förderung und Herausforderung. Zwar gilt: Ohne Gleichgewichtsfunktion auch kein Schwindel, aber eben auch keine Koordinationsfähigkeit und Sicherheit in der Bewegung. Das ansonsten mit wunderbaren Bildern zum Gleichgewichtssystem versehene „Handbuch des Schwindels“ wurde hergestellt vom Anbieter und ist dort auch weiter zu bekommen.

Betahistine

Kaum jemand mit einem schwankenden Hörvermögen oder einem Verdacht auf M. Menière wird an einem Präparat aus der Gruppe der „Betahistine“ vorbeikommen. Der Hinweis auf das Medikament ziert Ohrenplakate in Praxen und Kliniken, die Abreißlinie von Rezeptblöcken und vieles mehr, die Auseinandersetzung um die Wirksamkeit des Medikaments ähnelt der Diskussion, ob sich die Sonne um die Erde dreht oder die Erde um die Sonne. Betahistine bzw. Betahistindimesilat sind dem Histamin verwandt. Dies sind Gewebshormone, die die Blutgefäße erweitern, aber auch verengen können. Im Jahr 1972 konnte unter experimentellen Bedingungen bei Tieren gezeigt werden, dass Betahistin die Durchblutung innerhalb der Schnecke verstärkt (Martinez 1972). Beim Menschen konnte die bisherige Dosierung keinen Erfolg hinsichtlich der Häufigkeit und Schwere der Anfälle verzeichnen. Zudem stellt Paparella (1991) fest: „Es ist extrem zweifelhaft, dass irgend ein sog. gefäßerweiterndes Medikament im Labyrinth signifikant den Blutfluss im Innenohr beeinflusst.“ Morgenstern (1994) kommentiert: „Selbst wenn man eine Durchblutungssteigerung erreichen könnte, wäre eine Beeinflussung des endolymphatischen Hydrops nur schwer vorstellbar.“ In einem Update der Cochrane Vereinigung halten James u. Burton (2011) zu Betahistin fest: Während das Medikament bei denen, die es verschreiben, sehr beliebt ist, zeigt sich bei der Durchsicht der von der Untersuchergruppe akzeptierten sieben Studien mit 243 Patienten kein Beleg dafür, dass es hilft.

„While the drug is very acceptable to those who use it, the review of trials did not find enough evidence to show whether it is helpful. No trial met the highest quality standard set by the review because of inadequate diagnostic criteria or methods, and none assessed the effect of betahistine on vertigo adequately (James u. Burton (2011))“

Die meisten – in Auftrag gegebenen – Studien kommen zwar zu freundlichen Ergebnissen, sind aber nicht aussagekräftig. Eine Studie, die eine gute Methodik aufweist, zeigt, dass kein Einfluss auf den Tinnitus genommen werden kann. Keine Studie zeigte Einfluss auf den Hörverlust. Nun hängt die Wirksamkeit eines Medikamentes auch von der Menge (Dosis) ab. Darüber hinaus wirkt so manches Medikament (z.B. Betablocker bei der Migräne), obwohl der genaue Wirkmechanismus nur vermutet werden kann. Dementsprechend ist es verständlich, wenn weitere Studien unternommen werden, wie etwa die unter der Federführung der Münchner Arbeitsgruppe um Strupp (2008), die eine höhere und längere Gabe von Betahistin untersuchen wollen. Ungünstig ist nur, dass die groß angelegte und mit einigem Forschungsgeld unterstützte Studie neben den von den Autoren eingeräumten Beschränkungen das Problem aufweist, dass nicht (sicher) zwischen einer Reduktion der Menièreanfälle und dem – zumindest häufig auftretenden psychogenen Schwindelgefühl unterschieden werden kann. Dennoch propagieren sie schon in der Vorphase und den von den Neurologen gestalteten Leitlinien zu M. Menière, dass eine höhere Dosis mehr wirkt (ausführlich s. www.drhschaaf.de/Anmerkungen zur Betahistin Studie.pdf). Insgesamt liegt die Vermutung nahe, dass Betahistine die Hoffnungen der Patienten und der Behandler – insbesondere bei psychogenen Komponenten – mehr beeinflusst haben als das Medikament die Menière-Krankheit. So sind viele Behandler froh, dass sie dem verzweifelten Patienten mit so viel Sicherheit ein Medikament in die Hand drücken können, das zumindest keine ernsthaften Schäden zu zeigen scheint. Das ist verständlich, aber nicht rational. Rational gesehen gilt das für alle Medikamente, die den M. Menière
über eine verbesserte Durchblutung beeinflussen sollen.

Diuretika

Diuretika sind entwässernde, „harntreibende“ Medikamente und sollen im Schnellverfahren erreichen, dass auch der Endolymphhydrops nur wenig Wasser führen kann, wenn der „den Hydrops umgebende Mensch“ nur wenig anbietet. Deswegen wird diese Maßnahme vornehmlich in der Zeit des Anfalls eingesetzt.

Keine Langzeitwirkung!

Auch wenn das auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, lässt sich kein längerer Erfolg feststellen. Der Mechanismus, nach dem der Hydrops entsteht, ist ein anderer und das Innenohr kann sich in seinem Elektrolythaushalt nicht von solchen Einflüssen dauerhaft beeinflussen lassen, sonst würde auch das normale Hören nicht stabil sein können. So stellt die oben erwähnte Cochrane Kollaboration auch fest, dass kein Effekt für diese Maßnahme nachweisbar ist (Burgess, Sujata 2010).

Natriumarme, kaliumreiche Kost

Eine ähnliche Vorstellung wie bei den Diuretika besteht bei der Empfehlung einer salzarmen Ernährung. Die Gesamtflüssigkeitsmenge im Menschen ist eng mit seinem Natrium-(Salz-)Gehalt gekoppelt. Kalium ist der „Gegenspieler“ des Natriums im Elektrolythaushalt. Auch hier lässt sich kein längerer Erfolg finden und Regulationsvorgänge kompensieren meist wieder schnell mögliche Effekte.

Eingriffe am endolymphatischen Sack – die Sakkotomie

Bei allen Unklarheiten scheint der Saccus endolymphaticus dafür verantwortlich zu sein, dass die Endolymphe nicht genügend ausgeschleust werden kann. Die Sakkotomie hat die Druckentlastung des endolymphatischen Hydrops zum Ziel. Der Saccus endolymphaticus ist chirurgisch hinter dem Ohr erreichbar. Dazu müssen die Operateure zunächst den sog. Warzenfortsatz (Mastoid) ausräumen, um von dort aus nahe an das Labyrinth heranzukommen. In der hinteren Schädelgrube wird dann die Hirnhaut freigelegt und der Sakkus meist relativ weit vorne gefunden. Während die Leitlinien der nun federführenden „Deutschen Neurologischen Gesellschaft (2008)“ diesen Eingriff als „obsolet“ einstufen, propagieren vor allem operativ tätige HNO Ärzte auf die Wirksamkeit – wohl auch mit der Idee, das Gehör nicht zu schädigen, wenn die Operation gut verläuft (Ernst 2011, Baier und Ott 2008).
In einer Untersuchung für die Cochrane Collaboration fanden Pullens et al (2010) keinen ausreichenden Anhalt für eine Wirksamkeit der Eingriffe am Endolymphatischen Sack:
„Two trials included in this review provide insufficient evidence of the beneficial effect of endolymphatic sac surgery in Ménière’s disease“

Psychopharmaka

Die Möglichkeit, seelische Probleme auch mit Medikamenten, mit Psychopharmaka, beeinflussen zu können, ist oft segensreich und gleichzeitig verführerisch. Ohne Zweifel können Psychopharmaka dazu beitragen, das Elend auszuhalten und die Symptome zu unterdrücken. Das ist das, was viele Patienten auch erwarten. Nicht sachgerecht und nur verständlich aus der Not der Patienten und der schnellen Hoffnung des Therapeuten ist, dass zu viel mit valiumähnlichen Mitteln die Angst beim Schwindel angegangen wird und dabei das Gleichgewichtssystem gedämpft wird. Ohne Hirn kein Schwindel – aber auch keine sichere Orientierung, das ist die eine Folge, die andere, dass zu viele langsam aber sicher in Richtung Sucht tappen. So ist Vorsicht vor allem bei „Schlaf- und Beruhigungsmitteln“ angebracht. Leider erschwert die bei Valium-Medikamenten zu Recht bestehende Furcht vor Abhängigkeit die Nutzung auch der Psychopharmaka, die durchaus hilfreich sein können und nicht abhängig machen.

Unterstützung durch Antidepressiva –

manchmal notwendig oder hilfreich

Wenn sich bei oder durch den M. Menière eine Depression einstellt oder in den Vordergrund rückt, so können antidepressive oder neuroleptische Medikamente – als Stütze – durchaus sinnvoll sein. Manchmal sind sie sogar nötig, um überhaupt erst therapeutisch in Kontakt kommen zu können, und dann setzen auch wir sie ein. Sie können im günstigen Falle eine Wende im Krankheitsgeschehen einleiten, auch wenn sie nicht die Krankheit selbst heilen. So haben sie eine ähnliche Funktion wie Krücken bei einem gebrochenen Bein: sie sind in der Regel Hilfe auf Zeit. So haben Psychopharmaka ihre Berechtigung, als Übergangsregelung und als Unterstützung anderer Maßnahmen. Psychopharmaka sollten aber keinesfalls gegen den organisch bedingten Schwindel oder die Angst vor dem Schwindel eingesetzt werden. Dies verhindert therapeutische Veränderungen. Damit Psychopharmaka fachgerecht verwendet werden, sollte bei entsprechenden seelischen Erkrankungen auch ein Facharzt für Psychotherapie, Psychiatrie oder ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie aufgesucht werden. Das reflexhafte Verschreiben dessen, was in vielen Arztzimmern auf „Informationsbroschüren und Ohr-Plakaten“ werbend suggeriert: „Bei Schwindel: z.B. Sulpirid“ ist selten hilfreich, zumal Sulpirid nicht der günstige Wirkstoff für den eigentlich angestrebten antidepressiven Effekt ist. Das Problem ist, dass Fachärzte für die Anwendung von Psychopharmaka oft nur schwer erreichbar sind und Allgemein- und Hausärzte dann ihr Bestes versuchen müssen. Das kann und muss oft gut gehen, es gelingt um so eher, je mehr der Betroffene trotz seiner Not mitgestaltet.

Die stationäre psychosomatische Behandlung

Kliniken, die mit neurootologischer Kompetenz und psychosomatisch arbeiten, kann es nur sehr wenige geben. Vielfach muss ausgewichen werden auf psychosomatisch orientierte Kliniken, die in den letzten Jahren zunehmend auch die Problematik des M. Menière mit behandeln und sicher die Aspekte verstärkt ansehen, die in der organisch ausgerichteten Medizin kaum beachtet werden.

Eine Zwischenstellung nehmen sogenannte Reha-Maßnahmen ein. Für Tagessätze um die 100 Euro sollen sie zwar stationär behandeln, aber müssen oft mit weniger Geld als ein vergleichbares Hotel mit Vollpension auskommen. Auch sind Reha-Kliniken eigentlich nicht der Gesundung, sondern der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit verpflichtet. Im Bereich der Rehabilitation lösen nach Gesetzeslage nicht so sehr die Art und Schwere einer Erkrankung, sondern die Ausprägung einer vorhandenen oder drohenden Störung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und gesundheitliche Handicaps sowie die Prognose im Hinblick auf die Erreichbarkeit einen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen aus. Aus diesem Grunde fallen sie bei Arbeitnehmern auch nicht in die Zuständigkeit der Krankenkasse, die – wohl auch deswegen – gerne bei einem Reha-Antrag helfen. Im Bereich der Rehabilitation steht dann – auftragsgemäß – nicht so sehr die Behandlung eines Krankheitsbildes und die Akutintervention im Vordergrund, sondern die:

  • „Förderung der Selbstbestimmung,
  • die gleichberechtigte Teilhabe des Patienten am beruflichen und gesellschaftlichen Leben
  • sowie die Vermeidung von (drohenden) Benachteiligungen, Handicaps sowie die Reintegration in Beruf und Gesellschaft“

Dennoch gibt es mehrere Reha-Kliniken, in denen die Menière-Betroffenen vom Engagement der Behandlerinnen, den gleichgewichtsfördernden Ansätzen, den Indikations- und Aufklärungsgruppen, dem Austausch mit den Betroffenen und der Wiedererlangung eigener Kompetenz sehr profitieren können, ohne dass man eine vollstationäre Behandlung erwarten darf – die auch „eigentlich“ nicht vorgesehen ist.

Was bleibt für die Betroffenen?

Für die Betroffenen in ihrer Not heißt das, dass man nicht umhin kommt, möglichst viel an Kompetenz für sich selbst zu erlangen, auch wenn man das Ohr „oft am liebsten abgeben“ möchte. Dazu gehört, zu wissen, was die Erkrankung, die nach Prosper Menière benannt wurde, überhaupt ausmacht, was sie nicht ist und was daraus folgen kann. Wichtig ist nachspürbar zu klären, ob es sich bei den „Schwindelanfällen“ um Attacken aus dem Innenohr oder um psychogene Schwindelereignisse handelt, die sich für die Betroffenen im Erleben ähnlich oder gleich anfühlen können. Es ist schon viel gewonnen, wenn dahingehend gearbeitet werden kann, dass sich der unvermeidbare Schwindel auf die rein organischen Attacken beschränkt. Am Ende bleibt die praktizierte Eigenverantwortung des Patienten im ständigen Üben und Erhalten des Gleichgewichts und die – optimale – Vorbereitung auf einen möglichen Anfall. Und nicht zuletzt ist in diesem Sinne auch eine aktive Teilnahme in Selbsthilfegruppen hilfreich, wobei „aktiv“ automatisch ein Geben und Nehmen in dieser Gruppe bedeutet, denn Selbsthilfe bedeutet halt auch, sich und anderen helfen zu lassen, aber eben auch zu helfen.

Literaturangaben zum Vortrag:

s. Schaaf, H. (2012) „Morbus Menière“
7. Auflage. Springer, Heidelberg

Stand: 30.06.2013